Joseph von Eichendorff, Kapitel von meiner Geburt
Erstes Kapitel

Der Winter des Jahres 1788 war so streng, daß die Schindelnägel auf den Dächern krachten, die armen Vögel im Schlaf von den Bäumen fielen, und Rehe, Hasen und Wölfe ganz verwirrt bis in die Dörfer flüchteten. In einer Märznacht desselben Winters gewahrte man auf dem einsamen Landschloß zu L[ubowitz] ein wunderbares, geheimnisvolles Treiben und Durcheinanderrennen, treppauf, treppab, Lichter irrten und verschwanden an den Fenstern, aber alles still und lautlos, als schweiften Geister durch das alte Haus. Mein Vater ging in dem großen, von einer Wachskerze ungewiß beleuchteten Tafelzimmer auf und nieder, von Zeit zu Zeit horchte er bald in die Nebenstube, bald in den tiefverschneiten Hof hinaus; dann trat er unruhig ans Fenster, hauchte die prächtigen Eisblumen von den Scheiben und betrachtete den weiten gestirnten Himmel. Die Konstellation war überaus günstig. Jupiter und Venus blinkten freundlich auf die weißen Dächer, der Mond stand im Zeichen der Jungfrau und mußte jeden Augenblick kulminieren. Da schlug plötzlich ein Hund an tief unten im Dorf, drauf wieder einer, immer mehrere und näher, eine Peitsche knallte und Pferdegetrappel ließ sich im Hofe vernehmen. Endlich! - rief mein Vater, eilig vor die Haustür hinausstürzend. Eine auf Kufen gesetzte, festverschlossene, altmodische Karosse dunkelte aus dem dicken Dampf der Pferde, wie aus einem Zauberrauch, in welchem der Kutscher seine erstarrten Arme gleich Windmühlenflügeln hin und her bewegte. Bitte, Herr Doktor, - sagte mein Vater, selbst den Kutschenschlag öffnend - Sie sind wohl gar drin eingeschlafen? - Auf Ehre, ein klein wenig! war die Antwort, und aus dem Wagen erstaunlich fix sprang zu aller Verwunderung, anstatt des erwarteten Doktors, ein langer, schmaler Kerl, den niemand kannte, in einer ganz knappen, verschossenen Livrey, aus welcher beim hellen Mondschein sein Ellbogen glänzte, daß einem innerlich fror, wenn man ihn ansah. Mein Vater betrachtete ihn voller Erstaunen, der Fremde nahm schnell eine Handvoll Schnee und rieb sich damit die halberfrorne Nase, der Kutscher fluchte, der Schnee knirschte unter den Tritten, der Hofhund bellte - da wurde ich in der Stube neben dem Tafelzimmer geboren. Mein Vater, da er einen Kindsschrei hörte, blickte erschrocken nach dem Himmel: der Mond hatte soeben kulminiert! um ein Haar wäre ich zur glücklichen Stunde geboren worden, ich kam gerade nur um anderthalb Minuten zu spät, und zwar in der Konfusion mit den Füßen zuerst, man sagt. ich habe damit ein Entrechat gemacht.
Daß ich aber,
trotz der vortrefflichen Aspekten, die rechte Konstellation verpaßt, verdrießt mich noch bis auf den heutigen Tag, wie jenen armen Jungen, der bei der Hochzeit beinah einen Kuchen bekommen hätte. Es wäre ja sonst für mich ein wahres Kinderspiel gewesen, eine reiche Frau, einen Orden, vortreffliche Konnexionen und Protektionen, anstatt meiner dürren Figur einen vornehmen à plomb, oder gar im Morgenblatt einen Lorbeerkranz zu bekommen. Die heutige Welt will Gleichheit haben, so wills die Natur. Oho! meint der Kavalier, die Natur ist grade recht unsinnig aristokratisch, stellt den Ochsen über das Kalb, den Hund über die Katze, die Katze über die Ratze, und unter den Menschen den echten hohen Geburtsadel des Talents über das andere gemeine Pack. Ich habe immer gefunden, es gibt nur ein Mittel, die Gleichheit herzustellen, das ist die Liebe, womit unser Herr Jesus Christus alle gleich gemacht vor dem Vater, indem er selbst dem durch eine fatale Konstellation Unterdrückten Macht gibt über das Talent durch Tugend und die Kraft eines heiligen Willens. - Amen!