Geben wir ihnen noch `ne
Chance... Irgendwie is' es
schon ätzend. Unsereins wünscht sich nix mehr,
als in den wilden Siebzigern gelebt zu haben.
Sex, Drugs and Rock n' Roll, Parties, die die
ganze Nacht dauern, Demos, bei denen man
mitmacht, egal für oder gegen was man ist,
Friedenspfeifen, make love, not war,... . Alles
total geil. Universal Love. Na ja, Pech gehabt,
daß man erst in den wilden Seventies gestartet
wurde. Aber dann denkt man doch, daß ein
bißchen von dem Feeling in den Leuten von damals
übriggeblieben sein muß.
Aber denkste! Ich brauch doch bloß meine Alten
anzuschaun. Früher hatten sie alle beide Haare
bis zu den Kniekehlen, verwaschene, zerrissene
Jeans, 'ne Friedenspfeife für 'nen geilen Trip.
Das würden die ja nie zugeben, daß sie mal so
gewesen sind. Das ist ihre "wilde"
Vergangenheit, die sorgfältig in einem Koffer
auf dem Dachboden versteckt ist. Und wenn man sie
auf damals anspricht, bekommt man nur die
genuschelte Antwort: "Das ist lange her. Wir
sind erwachsen geworden", und sie lächeln
verschämt und werden rot.
Ach, ich habe noch nicht gesagt, wie sie heute
'rumhängen. 'Schuldigung, sie
"hängen" ja nicht "rum", sie
streben die Karriereleiter hoch.
In maßgeschneiderten Anzügen, immer tadellosem
Haarschnitt - total konservativ.
Wenn die Musik zu laut wird, beklagen sie sich
über die Jugend von heute. Von so einem
"Lärm" wie Rolling Stones, Jimmy
Hendrix oder Janis Japlin bekommen sie
Kopfschmerzen. Stattdessen gehen sie ins
Kammerkonzert. Und sagen, daß dies die einzige
Musik wäre. Nix gegen die alten Herren wie
Mozart, Beethoven, Händel, usw. , aber auf die
Dauer werden sie doch auch öde. Aber wieder
zurück zu meinen Alten. Das Motto der ´68er war
doch, sich von seinen Alten zu unterscheiden,
nicht so pingelig zu sein, nicht so nach
Materiellem zu streben, die Statussymbole
abzuschaffen, links- und weltoffen zu sein.
Aber was ist aus ihnen geworden? Geschniegelt
kuschen sie vor ihrem Chef, streben nach oben,
futtern Aufputschmittel, nicht, um gut drauf zu
sein und die Nacht durchzufeiern, sondern um die
Überstunden durchzustehen. Mit vierzig sind sie
dann kurz vor dem Herzkasper, um an die
Statussymbole - wie den dicken Benz -
'ranzukommen. Angeblich alles für uns. Da hat
man also den Vizechef des Konzerns zum Vater und
eine emanzipierte Chefärztin als Mutter und
wächst dann als Schlüsselkind auf.
Erzkonservative Karrierejuppies, dabei wollten
sie doch ganz anders sein... .
Da hätte man mal 'nen gemeinsamen Nenner, die
"Flower-Power"-Hippiezeit, und die
weichen aus. Wenn ich mir schulterlange
Peaceohrringe 'reinstecke, 'nen superkurzen Mini
anziehe und Janis Joplins " Freedom is just
another word for nothing else to loose" mir
mit voll der Dröhnung 'reinziehe, dann schlagen
sie die Hände über dem Kopf zusammen - wenn ich
im Zimmer bin.
Schau ich aber zufällig - heimlich - rein, dann
höre ich sie mitsummen, mit einem wehmütigen
Lächeln auf den Lippen. Schön leise, daß
keiner sie hört. Ich glaub', sie sind noch nicht
ganz verloren.
Leserbriefe an Magali Nieradka von der
Bishop´s University in Lennoxville, Québec,
Canada
prosa
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