Vorwort
Literaturkurs
97
am AMG


07.05.1997
Klemens Thamm |
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Das Gefieder
der Sprache streicheln
Worte sind Vögel
mit ihnen
davonfliegen
(Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, 272)
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In ihrem an ein japanisches Haiku
erinnernden Gedicht, einer Form, die Flüchtiges zu erhaschen sucht, will Hilde Domin mit
sprachlichen Mitteln das ausdrücken, was mit Sprache kaum leistbar ist, um gerade damit
Unfaßbares fast faßbar zu machen. Das Luftige, Federleichte der Sprache, das nur den
trägt, der ein Gefühl dafür entwickelt, sind nicht die Wortvögel selbst, und es muß
auch offenbleiben, ob das "mit ihnen davonfliegen" instrumental oder soziativ zu
verstehen ist, ob wir mittels oder in Verbindung mit "geflügelten Worten" uns
selbst zu erheben vermögen oder getragen werden, ob unser "davonfliegen" ein
Flüchten, Hinfliehen oder traumhaftes Abheben bedeutet. Offen lassen die beiden rein
nennenden Infinitivkonstruktionen, die die finite Kernaussage umschließen, ob es sich bei
diesem Rahmen um eine Aussage, einen Wunsch, einen Irrealis handelt. Nur eines ist von
Anfang an spürbar: Wer nicht die Liebe zur Sprache hat und dieses Gefühl in eine
liebevolle Geste umsetzen kann, wer nicht "das Gefieder der Sprache streicheln"
kann, zur "Feder greift" in liebenswertem Bemühen um die Worte, dem wird sich
wohl kaum das Glücksgefühl von Freiheit aufschließen, das unausgesprochen zwischen den
Gedichtzeilen aufscheint.
Was Worte sein und bedeuten können, haben
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Literaturkurses 95/96 am Albertus-Magnus-Gymnasium
Ettlingen ausprobiert, wo der Kreativkurs "Literatur" schon eine längere
Tradition hat. Nachdem ein erster Sammelband der Kurse 92/93/94 bereits erschienen ist,
sollen Auszüge aus dem zweiten Band der Kurse 95/96 als Anregung erstmals im Internet
vorgestellt werden. Diese und andere Texte fanden bei einer öffentlichen Lesung in der
Stadtbücherei Ettlingen die beachtliche Resonanz eines interessierten Publikums. |
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