



07.05.1997
Klemens
Thamm
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"Heute
nacht war Radi bei mir. Er war blond wie immer,
und er lachte in seinem weichen breiten Gesicht.
Auch seine Augen waren wie immer: etwas
ängstlich und etwas unsicher. Auch die paar
blonden Bartspitzen hatte er.
Alles wie immer.
Du bist doch tot, Radi, sagte ich.
Ja, sagte er, lach bitte nicht."
Ich lachte auch nicht. Ich wollte schreien, ich
bewegte meinen Mund, aber es kam kein Laut
heraus. Da war wieder das Bild: Helge starrte
mich wütend an. Ich hatte mit heiserer Stimme
gesagt: "Nein, ich komme nicht mit, ich
bleibe mit Radi hier sitzen." Der widerliche
Kerl Helge ging langsam auf Radi zu, der neben
mir auf dem Bett saß und mich treuherzig
anblickte. Plötzlich fühlte ich, daß Radi in
Gefahr war. Ich bemerkte, wie Helge die
Gesichtsmuskulatur anspannte. Er streckte seine
unglaublich groben, großen Hände nach ihm aus.
Es war, als wiche Radi ein Stück zurück. Jetzt
packte er ihn und riß ihn empor. Ich wollte ihn
festhalten, aber meine Arme lagen wie Bleifässer
neben mir. Noch einmal versuchte ich, meine Arme
in Bewegung zu setzen, aber vergeblich. Sie
klebten auf dem Bett und regten sich nicht. Jetzt
schwang Helge ihn noch weiter nach oben, Radis
große, braune Augen wurden noch ängstlicher,
und es spiegelte sich ein Entsetzen darin wider.
Er wollte schreien, aber schon wurde er im
großen Bogen in Richtung Bettkante geschleudert.
Ich hörte den Aufprall schon, bevor er mit dem
Genick auf der Bettkante ankam. Ein dumpfer,
hohler Schlag, und dann... Stille. Ich wollte
nicht hinschauen, aber dann blinzelte ich doch.
Radi lag schlaff vor dem Bett auf dem Rücken.
Ängstlicher als sonst und sehr hilflos, fast ein
bißchen vorwurfsvoll schienen seine Augen auf
mich zu blicken, beinahe als wolle er sagen:
"Hättest Du mich nicht retten
können?"
Ich sah mein Leben mit ihm Revue passieren,
obwohl ich es eigentlich nicht wollte. Es wurde
alles nur noch schlimmer, Ich konnte aber nicht
anders. Er hatte mich schon immer überall hin
begleitet, war mir immer treu gewesen. Wir hatten
schon viele gemeinsame Reisen unternommen. Wir
saßen zusammen im Auto, und ich streichelte
zärtlich seine paar blonden Bartspitzen, und er
lachte in seinem weichen breiten Gesicht. Er gab
mir eine Sicherheit, in seiner Nähe fühlte ich
mich geborgen. Niemals hatte er mich im Stich
gelassen. Außerdem war er sehr gut erzogen,
blamiert hatte er mich nie.
Plötzlich fühlte ich, daß ich schweißgebadet
war. Meine Kleidung klebte an meiner Haut, ich
zitterte vor Kälte. Ich tastete um mich herum,
um herauszufinden, wo ich war. Ich konnte meine
Gedanken kaum klar ordnen. Auf einmal fühlte
ich, ja ich fühlte ein paar Bartspitzen! Ein
Gefühl, wie ich es eigentlich gewöhnt war, aber
irgendwie sprach etwas dagegen. Ich tastete mich
vom Kopfkissen zum Nachttisch bis zur Lampe vor.
Ich schaltete das Licht ein, und da lag er, mein
heißgeliebter Teddybär Radi, blond wie immer,
und er lachte in seinem weichen, breiten Gesicht.
Auch seine Augen waren wie immer: etwas
ängstlich und unsicher. Auch die paar blonden
Bartspitzen hatte er.
Alles wie immer. prosa
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